Leseprobe 1
Das alles war zuviel. Es ging über ihre Kräfte und kostete sie ein Vermögen. Man hatte ihr die Raubtiere mit einer einstweiligen Verfügung entzogen. Sie musste vorübergehend schließen. Die Einnahmen blieben aus, aber die Tiere wollten ihr Futter haben. Der Schuldenberg wurde immer höher und nach langem Ringen entschloss sie sich schließlich zum Verkauf.
Es gab nicht sehr viele Interessenten. Schließlich verkaufte sie an diesem neureichen Schnösel. Sie war wütend auf Herrn Reinhardt, weil er das Gut gekauft hatte. Da änderte es auch nichts, dass er eigentlich ganz nett war und große Pläne mit Weidenhof hatte.
Und sie war wütend auf sich. Beim Notar kam sie sich vor wie eine Versagerin.
Sandra war sogar zornig auf Gott. Er hatte ihr alles genommen was sie liebte. Wie sollte sie da an seine Güte und Gerechtigkeit glauben?
Kurz bevor sie den Weidenhof verlassen musste, kam der Brief aus Kanada.
Liebe Sandra!
Es tut mir sehr Leid das mein liebe Schwester verstorben ist. Sie war Deine einzige Verwandte in Deutschland.
Wir konnten die lange Reise leider nicht mehr auf uns nehmen, um zu der Beerdigung zu kommen.
Wir möchten Dich aber ganz herzlich einladen, uns einmal in Kanada zu besuchen. Du bist jünger als wir und wir sind sicher, dass es dir bei uns gefallen würde.
Liebe Grüße von
Deinem Onkel John, mit Familie
Plötzlich hatte ihr Entschluss fest gestanden. Sie wollte alle Zelte abbrechen, ein neues Leben beginnen. Was hielt sie den noch zurück. Kurz entschlossen hatte sie sich ein Ticket gekauft, telegraphiere nach Kanada und verabschiedete sich von ihren Freunden, die sie allesamt für verrückt erklärten.
Ehe sie sich recht besann, saß sie im Flugzeug, mit einer Barschaft von noch 7000 Mark in der Tasche. Das war alles was sie noch übrig hatte.
Leseprobe 2
Sandra hatte sich aufgesetzt und sah zu den Bergen hinauf. Sie befanden sich in Höhe der Baumgrenze. Es kam ihr nicht mehr weit vor bis dahin wo weiße Schneefelder in der Morgensonne glitzerten. Doch sie wusste dass die Entfernung täuschte.
Sie unterhielten sich wie am Tag zuvor auf Deutsch. „Ich komm nicht mit zurück!“ sagte Nadja wie aus heiterem Himmel trotzig.
Sandra schluckte. „Aber Nadja. Wo willst du denn hin? Deine Mutter und dein Vater lieben dich doch. Was meinst du wie aufgeregt und verzweifelt sie gestern waren weil du weggelaufen bist. Deine Mama hat geweint und dein Vater war auch ganz traurig.“
„Geschieht ihnen ganz Recht! Sie wollen sich scheiden lassen, dann bin ich ihnen sowieso nur im Weg. Ich habe gehört wie Mama zu Papa gesagt hat‚ „−und was soll aus dem Kind werden?“ Widerspenstig setzte sie sich auf. „Daran siehst du doch, dass sie mich aus dem Weg haben wollen. Ich bin übrig! Ich hasse sie! Sie werden schon sehen, was sie davon haben!“
Sandra traf die geballte Wut und die Verzweiflung einer zehnjährigen und sie wusste nicht recht was sie daraufhin sagen sollte. Um Zeit zu gewinnen schlug sie vor. „Lass uns hinuntergehen zum Bach und uns waschen.“
Sie liefen hinunter an das nahe gelegene Wasser. Ein reißender etwa drei Meter breiter Bach.
Nadja sprang sofort ins Wasser.
„Ich komme nicht mit zurück!“, schrie sie trotzig mitten im Bach stehend. Das Wasser reichte ihr bis an die Oberschenkel.
Sandras Geduld war fast zu Ende. ‚Das kleine Luder’, dachte sie als sie den besten Stand auf den rutschigen Steinen suchte um ihr zu folgen. Plötzlich ruderte Nadja mit den Armen. Sie versuchte sich an Sandra festzuhalten, aber als diese ebenfalls nach dem Mädchen griff, verlor sie das Gleichgewicht und beide vielen ins eisigkalte Gletscherwasser. Sandra hatte Mühe wieder auf sie Beine zu kommen. Die Kälte lies ihre Muskeln zu Eis erstarren und sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. ‚Ein Herzinfarkt’ dachte sie im ersten Moment erschrocken, als ihre Rippen zu stechen anfingen. Es war nur ein kurzer Moment bis sie wieder am Ufer stand, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
Kenny rannte aufgeregt zu ihnen. Dabei sah er zu wie Sandra auf dem steinigen Boden vor Nadja kniete und sie schüttelte. Dabei schrie sie: „Bist du verrückt. Du kleines verzogenes Gör. Deine Eltern lieben dich. Du wirst bei ihnen immer ein Zuhause haben, ob sie nun zusammen sind oder nicht. Meine Eltern sind gestorben, da war ich nicht viel älter als du. Weißt du was es heißt keine Eltern zu haben Weißt du das?“ brüllte sie und am liebsten hätte sie die Kleine geohrfeigt. Diese unbeschreibliche Wut, lies sie die Kälte für einen Moment vergessen „Deine Eltern werden dich nie alleine lassen! Nie! Niemals! Weil! Sie! Dich! Lieben!“ Sie betonte dabei jedes einzelne Wort. „Hast du das in deinem dummen kleinen Kopf endlich begriffen?“
Sandra erschrak über sich selbst. Abrupt lies sie Nadja los. Das Mädchen weinte und auch ihr liefen Tränen über das Gesicht. Sie wusste eigentlich gar nicht ob es wegen ihrem Zornausbruch war, oder warum sie plötzlich dermaßen die Fassung verlor.
„Geh mit Kenny!“ befahl sie. „Zieh deine nassen Sachen aus!“
Kenny verstand nur, wie sie dabei auf ihn gezeigt hatte. Er nahm Nadja kurzerhand auf den Arm und trug sie zum Feuer hoch.
Als Kenny sie dort abgesetzt hatte, schaute er zurück zu Sandra. Sie lag jetzt auf dem Boden. Noch immer an der gleichen Stelle. Er rannte zurück zu ihr. Beim näher kommen hörte er sie heftig weinen. Sie schluchzte hemmungslos.
„Sandra, was ist los?“ Er beugte sich über sie. Als er keine Antwort erhielt, drehte er sie zu sich um. Sie weinte nur immer weiter. Da nahm er sie in seine Arme und wiegte sie hin und her, streichelte ihr nasses Haar und küsste ihre Stirn. „Sandra, du musst aus den nassen Sachen raus. Komm ans Feuer.“
Sie machte keine Anstalten aufzustehen, da hob er sie hoch und trug sie ebenfalls zur Feuerstelle.
Kenny hatte Verwandte in einem Reservat ganz in der Nähe. Es lag fast auf dem Weg. „Heute Nacht kannst du in einem Bett schlafen und dich ordentlich waschen“, hatte er zu ihr gesagt. „Meine Tante Kaya freut sich immer auf Besuch und ich habe uns vorgestern Abend angemeldet.“
Die Sonne stand schon sehr tief, als sie die kleine Ansiedlung erreichten. Anders als sie es sich vorgestellt hatte standen da richtige Steinhäuser. Fast vor jedem, parkten ein oder sogar mehrere Autos. Also nichts mehr von Wildwest Romantik. Die Mustangs hatten ein paar mehr PS unter der Haube und vier Räder.
Ein Stück weiter oben in den Bergen hatte man für die Touristen ein kleines Indianerdorf errichtet, das immer von einigen Leuten bewohnt wurde. Es gab nicht viele Möglichkeiten für die Indianer Geld zu verdienen. Eine davon war der Tourismus, erfuhr sie später.